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In den letzten Jahren ist die Natur- und Waldtherapie zunehmend in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Natur- und Waldtherapie insgesamt positive Effekte auf die physische und psychische Gesundheit haben. Im Interview spricht Dr. med. Michael Jeitler, Studienarzt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin, über die Effekte und Methoden des Waldbadens und die Forschungslage.

Welche Wirkung hat Waldbaden?

In vielen Studien – vorwiegend aus Asien – konnte demonstriert werden, dass waldtherapeutische Interventionen insgesamt eine stressreduzierende Wirkung aufweisen und sich positiv auf Bluthochdruck, Herz- und Lungenfunktion, Immunfunktion, aber auch auf psychische Parameter wie Stress, Angst und Depression auswirken. In Asien und Australien wurde diese bereits als öffentliches Gesundheitskonzept der Prävention und Gesundheitsförderung implementiert.

Gibt es einen Unterschied zwischen Waldbaden und Waldtherapie?

In Japan wurden schon in den 1990er Jahren die Begriffe „Waldtherapie“ und „Waldbaden“ geprägt. In dieser Zeit nahm der Anteil der in den japanischen Städten lebenden Menschen, die unter Depressionen litt, zu. Wissenschaftler begannen daraufhin, die medizinischen Effekte von strukturierten Waldaufenthalten zu untersuchen und fanden psychisch stabilisierende, stimmungsaufhellende und antidepressive Effekte. Diese schienen nicht aus der Bewegung allein, sondern auch aus der Stressreduktion und Entschleunigung zu resultieren. Bisherige Daten legen nahe, dass einzelne Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Hören, Riechen und auch Tasten jeweils eigenständige stressreduzierende und regenerierende Effekte haben.

Wie badet man in einem Wald?

Empfehlenswert ist, das Waldbaden von einem ausgebildeten Natur- und Waldtherapeuten in einer Gruppe einmal angeleitet auszuprobieren. Ein solcher Schnupperkurs geht meistens circa 2 Stunden. Im Gegensatz zum Spaziergang im Wald geht es beim Waldbaden um das Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes, das heißt das aktiv praktizierte, stark entschleunigte Naturerleben. Beispielsweise beinhaltet eine Übung den Fokus für eine gewisse Zeit auf das Hören zu lenken. Eine andere Übung ist das langsame Gehen im Wald mit offenen Sinnen. Allen Übungen gemein ist, entschleunigt die Natur wahrzunehmen. Wenn man diese Übungen verinnerlicht hat, kann man das auch gut alleine praktizieren – wichtig ist, das Handy zu Hause zu lassen, wenn man in die Natur geht.

Was motiviert die Teilnehmenden? Warum sollte man es einmal selbst ausprobieren?

Die Teilnehmenden berichten von sehr unterschiedlichen Motivationen, viele wollen etwas gegen den Stress unternehmen, andere sind einfach nur neugierig. Stress gehört sicherlich zu einer der wichtigsten Krankheitsfaktoren der heutigen Zeit. Chronischer Stress kann viele gesundheitsrelevante Beschwerden verursachen – hier kann jedes Organsystem betroffen sein – zum Beispiel Bluthochdruck, chronische Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, um nur einige zu nennen. Hier kann Natur- und Waldtherapie einen guten stressreduzierenden Beitrag leisten.

Wie haben sich die Teilnehmenden nach der Waldtherapie gefühlt?

Die meisten Teilnehmenden berichten von einer entspannenden Wirkung, bei einigen besserte sich auch die Stimmung. Bei anderen normalisierte sich der Blutdruck.

Macht es einen Unterschied, ob man in einem Nadel- oder Laubwald badet? Wenn ja, welchen?

Beim Waldbaden kommt es zu Kombinationen und Synergien visueller, klimatischer, bewegungsabhängiger und nervlich-seelischer Effekte. Da ein Nadelwald eine höhere Konzentration an gesundheitsfördernden pflanzlichen Duftstoffen in der Luft (sogenannte Aerosole) als ein Laubwald hat, sind im Nadelwald mehr pflanzenchemische Effekte zu vermuten. Terpene sind die größte Klasse organischer Verbindungen, die von verschiedenen Pflanzen und Bäumen produziert werden, und einer der Hauptbestandteile von Waldaerosolen. Aus medizinischer Sicht sind die Terpene von Fichten, Kiefern und Tannen am wirkungsvollsten. Terpene bilden den Hauptbestandteil von ätherischen Pflanzenölen. Traditionell werden terpenhaltige Pflanzenöle zur Behandlung verschiedener Krankheiten eingesetzt, ohne dass die genauen Funktionen oder Wirkmechanismen der einzelnen bioaktiven Verbindungen bekannt sind. Beschrieben sind verschiedene Terpene aus Wäldern, die v.a. in Tiermodellen günstige Effekte (entzündungshemmende, krebshemmende, Immunsystem stärkende, Nerven schützende Wirkungen u.a.) gezeigt haben.

Wie lange hält der positive Effekt des Waldbadens an? Wie oft und wie lange sollte man Waldbaden?

Bisher liegen noch keine Studien mit Langzeitdaten vor. Wichtig scheint es – dies trifft auf viele, wenn nicht alle naturheilkundlichen Interventionen zu – dass aktiv praktiziertes Naturerleben möglichst regelmäßig praktiziert wird.

Gibt es auch hierzulande Studien zur Waldtherapie?

Zu dieser Thematik führt die Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin mehrere wissenschaftliche Studien durch. Ziel des Vorhabens ist es, die in Asien in den letzten drei Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen zu den physischen und psychischen Effekten der Natur- und Waldtherapie im Kontext des deutschen Waldes zu vervielfältigen und wissenschaftlich weiterführend zu untersuchen.

Vielen Dank für das Interview.