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Über Unkraut und Weizen - Gedanken zum Jahreswechsel
Nun ist es da, das neue Jahr. Doch mal ehrlich, hat uns nicht noch das „alte“ mit all seinen Wunden fest im Griff? Corona und Flut, Ängste, Sorgen, Verluste und Zerstörungen sind mit dem Jahreswechsel nicht verschwunden. Sie wirken weiter.
Wie Unkraut, von dem man ja bekanntlich sagt: „Es vergeht nicht.“ Manche behaupten das ja auch scherzhaft von sich selbst.
Aber nun sagt Jesus in einem Gleichnis nach Matthäus 13,24-30: Das Unkraut wird vergehen!
Mit der neuen Welt Gottes ist es wie mit dem Mann, der guten Samen auf seinen Acker gesät hatte: Eines Nachts, als alles schlief, kam sein Feind, säte Unkraut zwischen den Weizen und verschwand. Als nun der Weizen wuchs und Ähren ansetzte, schoss auch das Unkraut auf. Da kamen die Arbeiter zum Gutsherrn und fragten: ›Herr, du hast doch guten Samen auf deinen Acker gesät, woher kommt das ganze Unkraut?‹ Der Gutsherr antwortete ihnen: ›Das hat einer getan, der mir schaden will.‹ Die Arbeiter fragten: ›Sollen wir hingehen und das Unkraut ausreißen?‹ ›Nein‹, sagte der Gutsherr, ›wenn ihr es ausreißt, könntet ihr zugleich den Weizen mit ausreißen. Lasst beides wachsen bis zur Ernte! Wenn es so weit ist, will ich den Erntearbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut ein und bündelt es, damit es verbrannt wird. Aber den Weizen schafft in meine Scheune.‹
Das Unkraut wird vergehen! Ich frage mich, ob Jesus damit richtig liegt. Es gibt so vieles, was wir als Unkraut erleben, was das gute Wachsen und Gedeihen hindert und verdirbt. Ein Virus zeigt, wie schnell der Alltag zerstört werden kann. Und da ist noch viel mehr Unkraut: Ausgrenzung, Hass, Intoleranz, Gleichgültigkeit und Unbarmherzigkeit gehören dazu.
Nun gibt es aber, Gott sei Dank, auch ganz viel Positives aus 2021 zu erinnern. Ich hoffe sehr, dass Ihre persönliche Jahresbilanz gut ausgefallen ist, dass es vor allem viel Schönes zu erleben gab und dass das Unkraut sich in Grenzen gehalten hat.
Und im neuen Jahr? Wie wird da die Ernte aussehen? Wird es genügend gute Frucht geben oder haben wir wieder ordentlich mit dem Unkraut zu kämpfen? Trotz all unserer Bemühungen mit Sicherheitsvorkehrungen und Vorsorge jeglicher Art spüren wir Verunsicherung. Wer kann verhindern, dass das Unkraut nicht überhandnimmt?
Was Jesus sagt, irritiert: Lasst beides wachsen bis zur Ernte! Wenn es so weit ist, will ich den Erntearbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut ein und bündelt es, damit es verbrannt wird. Aber den Weizen schafft in meine Scheune.
Zwei Dinge höre ich. Erstens: Das Unkraut wird nicht auf Dauer bleiben. Es kommt der Tag, da wird es ausgerissen. Noch steht es zwischen den Ähren, zwischen der guten Saat und bereitet viele Sorgen. Aber es wird nicht auf Dauer bleiben. Zweitens: Es kann auch sein, dass ich selbst ein Teil des Unkrauts bin. Ich bin also mit an dem beteiligt, worunter diese Welt leidet. Wenn das so ist, dann bin ich vielleicht froh, dass ich nicht sofort ausgerissen werde. Ich kann mich und mein Verhalten ändern. Ich kann im neuen Jahr damit anfangen, gute Frucht zu bringen.
Ein Versuch ist es wert. Mehr Geduld, mehr Aufmerksamkeit, weniger Selbstbezogenheit einzuüben, wäre nicht falsch. Auch auf die Gefahr hin, dass ich wieder in alte Muster zurückfalle. Aber gerade dann ist es beruhigend zu hören, dass ich bei Gott nicht sofort abgeschrieben bin. Gott wartet ab, Gott hat Geduld und zieht erst am Ende eine Bilanz. Und ich vertraue auch darauf, dass er das Unkraut in Zaum hält.
Ihnen allen viel Ermutigung für ein „Neues Jahr“ und meine herzlichen Segenswünsche für alles, was Sie tun – auch für das, was Sie lassen können.
Diakon Lutz Bratfisch