„Mit Vertröstungen ist niemandem geholfen“
Pastorin Marion Wunderlich ist Seelsorgerin im Immanuel Krankenhaus Berlin. Wie sie zu ihrem Beruf gekommen ist, was ihre Tätigkeit ausmacht und wie sie Menschen in Krisensituationen helfen kann, erklärt die 37-Jährige im Interview.
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Frau Wunderlich, Sie sind Seelsorgerin im Immanuel Krankenhaus Berlin. Menschen im Krankenhaus sind häufig von Schmerzen und Leid betroffen. Wie können Sie in solchen Situationen helfen, welchen Unterschied macht die Krankenhausseelsorge?
Wer ins Krankenhaus geht, hofft natürlich vor allem auf medizinische Behandlung und Hilfe. Als Seelsorgerin biete ich an, Menschen in dieser für sie oft herausfordernden Situation eines Krankenhausaufenthaltes zu begleiten und Beistand zu geben. In unserem Leitbild der Immanuel Albertinen Diakonie heißt es „Wir stellen Menschen in den Mittelpunkt.“ Menschen sind nie nur das „kaputte Knie“ oder die „rheumatische Erkrankung“, sondern verdienen es, dass man sie als ganze Person wahrnimmt und ihnen begegnet. Insofern komme ich als Seelsorgerin nicht mit einem bestimmten Therapieziel in die Gespräche, sondern frage danach, was mein Gegenüber braucht. Das kann Raum zum Erzählen sein, Raum für Gefühle oder auch Raum für Gott, wo das gewünscht ist. Reden zu können über das, was man als schwer empfindet, kann entlasten und helfen sich auf das zu besinnen, was trägt.
Erleben Sie im Alltag, dass Menschen aufgrund Ihrer Krankheits- und Lebenssituation sprichwörtlich genug vom Leben haben und wie gehen Sie damit um?
Dass Menschen mutlos sind, keine Hoffnung mehr haben und nicht wissen, wie es weitergehen kann, das erlebe ich immer wieder. Meine Aufgabe in solchen Begegnungen ist es dann nicht, Ratschläge zu erteilen oder die Menschen zu überzeugen, dass alles doch nicht so schlimm sei. Mit Vertröstungen ist niemandem geholfen. Oft bleibt mir nur, da zu sein, die Ohnmacht mit auszuhalten und die Menschen in ihrer Verzweiflung nicht allein zu lassen. Und manchmal ergeben sich durch das Aussprechen und Trauern neue Perspektiven und Menschen fassen trotz aller Einschränkungen und Belastungen wieder Vertrauen in das Leben.
Wie sind Sie zu ihrem Beruf gekommen? Wollten Sie ganz bewusst im Krankenhaus seelsorgerisch tätig sein und was ist das Besondere an der Krankenhausseelsorge?
Nach meinem Theologiestudium war ich zunächst mehrere Jahre als Pastorin in einer kleinen Baptistengemeinde in Berlin tätig. Dort habe ich meinen Anfangsdienst absolviert, was vergleichbar mit einem Vikariat ist. Als ich auf die Stelle im Immanuel Krankenhaus Berlin, Standort Berlin-Wannsee aufmerksam wurde, merkte ich schnell, dass ich gerne in der Krankenhausseelsorge arbeiten würde. Denn in der Gemeinde empfand ich gerade die Momente als sinnvoll, wo ich mir Zeit nahm für Menschen, sie zuhause besuchte und ihnen mein Ohr schenkte. Dieser seelsorglichen Arbeit kann ich hier im Krankenhaus jetzt in besonderer Weise nachgehen. Es ist spannend und bereichernd immer wieder neuen Menschen zu begegnen und zu hören, was sie bewegt!
Wie finden Sie Zugang zu den Menschen? Gehen Sie auf Patientinnen und Patienten zu oder muss aktiv der Wunsch geäußert werden?
Wie es zu einer seelsorglichen Begegnung oder einem Gespräch kommt, ist unterschiedlich. Manche Patientinnen und Patienten äußern schon bei der Aufnahme, dass sie sich seelsorgliche Begleitung wünschen. Manchmal erleben Menschen aber auch krisenhafte Momente im Krankenhaus, wo das Angebot der Seelsorge dann durch das Pflegepersonal oder die behandelnden Ärztinnen und Ärzte an sie herangetragen wird und ich als Seelsorgerin informiert werde. Da ist es toll zu erleben, wenn interdisziplinär zusammengearbeitet wird und den Menschen auf verschiedenen Ebenen zur Seite gestanden werden kann.
In der Regel begegne ich den Menschen aber, wenn ich meine Rundgänge durchs Haus mache, an die Zimmer klopfe und mich vorstelle. Manchmal ergeben sich dann direkt intensive Gespräche, manchmal „nur“ ein Miteinander zwischen Tür und Angel oder aber wir verabreden uns für einen festen Zeitpunkt.
Sie erleben sicher viel Dankbarkeit im Beruf. Gibt es auch Ablehnung und ähnlich schwierige Situationen?
Seelsorge ist ein freiwilliges Angebot, das niemand in Anspruch nehmen muss. Wenn ich durch die Zimmer gehe, begegne ich auch Menschen, die kein Interesse daran haben. Das ist vollkommen in Ordnung so und in den allermeisten Fällen, wird mir das ganz höflich und freundlich mitgeteilt. Nicht immer braucht man einen Menschen von außerhalb um sich das Herz zu erleichtern. Viele Menschen erfahren ja auch durch ihr familiäres Umfeld und den Freundeskreis viel Unterstützung.
Wirkliche Ablehnung erfahre ich nur da, wo ich mit der Kirche identifiziert werde und Menschen mit der Kirche Probleme haben. Aber auch da ergeben sich manchmal interessante Gespräche. Als Seelsorgerin bin ich für alle Patientinnen und Patienten da, unabhängig von ihrer religiösen oder weltanschaulichen Einstellung.
Wie behalten Sie angesichts von mitunter schweren Schicksalen ganz persönlich Ihren Glauben und was treibt sie an?
Ich empfinde es als großen Schatz, dass ich mich mit allem im Gebet an Gott wenden kann. Auch schwierige Begegnungen im Krankenhaus gehören dazu. Es tröstet mich, dass Gott ein weites Herz gerade für die Menschen hat, für die nicht alles glatt läuft, die sich einsam und verlassen fühlen. Seine Liebe zu den Menschen ist es, die auch mich immer wieder motiviert da zu sein, wo Menschen in Not sind und ihnen meine Zeit zu schenken.